Film & Fernsehen

Filmbranche – Geschlechter geteilte Welt? Interview mit der Schauspielerin Belinde Ruth Stieve


(Berlin, 9. Oktober 2013) Die in Berlin lebende Schauspielerin Belinde Ruth Stieve macht seit Anfang 2013 Strichlisten von Cast und Crew deutscher und internationaler Filme und bloggt darüber. Ihre Erkenntnisse sind ernüchternd: Sowohl die Anzahl der Schauspieler als auch die Anzahl der männlichen Teammitglieder ist doppelt so hoch wie die der Kolleginnen. Wir sprachen mit ihr über Zahlen und Hintergründe der Arbeit von Stieve.

Frau Stieve, wie kam es dazu, dass Sie so akribisch Buch führen über die Anzahl der im Kino und im deutschen Fernsehen vor und hinter der Kamera beschäftigten Frauen?

Stieve: Ich hab im Januar - nicht zum ersten Mal - von einer Casterin gehört „Leider diesmal keine Rollen für Frauen dabei“, also wollte ich der Sache mal auf den Grund gehen. Ich fing mit den 34 Tatorten 2012 an und da gab es insgesamt fast doppelt so viele Männer- wie Frauenrollen. Bei anderen Filmgruppen sah es ähnlich aus. Das war ja auch mein Eindruck gewesen, aber es schwarz auf weiß zu sehen war dann schon noch etwas anderes.

Und wie sieht es hinter der Kamera aus?

Stieve: Ähnlich erstaunlicherweise! Ich dachte, Gewerke mit Männer- bzw. Frauenübergewicht halten sich in etwa die Waage, aber auch bei den Crews gibt es unter’m Strich dieses 2 zu 1-Verhältnis. Und das kann nicht gut sein.

Warum nicht? Vielleicht haben männliche und weibliche Filmschaffende unterschiedliche Neigungen, oder Frauen sind generell nicht so an der Filmproduktion interessiert.

Stieve: Sie meinen, dass sich Frauen für Make-Up und Kostüme interessieren und Männer eher für Regie und Kamera und Drehbuch und Licht und Aufnahmeleitung und alles andere?

Das könnte ja sein. Aus welchen Gründen auch immer.

Stieve: Ja aber da fängt es ja schon an. Was wären denn die Gründe? Interessieren sich Frauen wirklich weniger für technischen Disziplinen wie Kamera und Ton? Wollen sie lieber in der Buchhaltung sitzen als im Regiesessel? Und haben die Männer- und Frauengewerke gleich viel Bedeutung im Prozess und eine ähnliche Bezahlung, oder gibt es da eine Hierarchie, eine Trennung? Und haben die Crewzusammensetzungen Auswirkungen auf die erzählten Geschichten, auf die Besetzungslisten, gendermäßig oder von der Erzählweise her?

Es wird ja überall von der Quote gesprochen oder auf sie geschimpft. Brauchen wir die jetzt etwa auch noch in Film und Fernsehen? Bei den Rollen vielleicht...

Stieve: ja, natürlich, gerade da sollte über das Rollenungleichgewicht nachgedacht und gegengesteuert werden, ob mit einer festen Quote oder einfach nur mit gesundem Menschenverstand. In unserer Gesellschaft leben gleichviel Männer und Frauen, auch in allen Altersgruppen, aber im Kino und im Fernsehen sehen wir überwiegend Geschichten von Männern, da gibt es doppelt so viele männliche wie weibliche Haupt- und Nebenrollen. Und es kommt noch etwas zweites hinzu, im deutschen Fernsehen. Ab einem bestimmten Alter, so ca fünfunddreißig bis vierzig, gehen die Frauenrollen deutlich zurück. Die Männerrollen haben ihren Peak, der noch dazu höher ist, zehn, fünfzehn Jahre später. Das heißt, es ist nicht nur so, dass es für uns Schauspielerinnen deutlich weniger Arbeit gibt als für die Kollegen, und diese früher aufhört. Gleichzeitig wird die Hälfte der Bevölkerung künstlich zu einer Minderheit gemacht, indem sie im Fernsehen nicht quantitativ gleichberechtigt vorkommt. Und das merken wir vielleicht schon gar nicht mehr, weil wir es von kleinauf gewohnt sind. Zählen Sie mal die weiblichen und männlichen Puppen in der Sesamstraße...

Na gut, die Besetzung ist das eine, aber wie ist das hinter der Kamera? Soll da jetzt etwa auch über eine Quote nachgedacht werden?

Stieve: Ach, Quote, das ist ja kein starres Modell. Ich habe beispielsweise mal vier Filmgruppen 2012 verglichen, Kino und Fernsehen, und da jeweils die publikumsstärksten, und die, die die Auszeichnungen gewannen, das waren 4 x 17 Produktionen insgesamt. Also sozusagen Kunst und Kommerz. Und da sehen wir deutliche Unterschiede. Nehmen wir mal den Schnitt. Im Berufsverband Filmschnitt liegt der Frauenanteil bei knapp 61 %, aber kein einziger der 17 Top Filme an den Kinokassen wurde von einer Frau editiert! Bei den anderen drei Gruppen lag der Wert um die 60 %. Also muss es noch andere Gründe geben als einen Mangel an weiblichen Fachkräften. Zufall. Oder das Phänomen, dass ab einem bestimmten Etat weniger weibliche Filmschaffende beteiligt werden. Auffällig sind ja zum Beispiel auch die unterschiedlichen Werte bei Regie. 25 & Frauenanteil im Regieverband, 16 % bei den Topkinokassenfilmen, und 30 % bei den Filmpreisnominierungen, die idR niedrigere Etats haben. Ich glaube nicht, dass Frauenquoten für einzelne Filmproduktionen gefordert werden sollen. Aber wenn es ein großes Ungleichgewicht gibt in einer Gruppe von Filmen – in einem Jahrgang, in einem Genre oder was auch immer, - dann sollten wir zumindest nach den Gründen fragen.

Es ist auch außerhalb der Filmwelt so, dass es typische Männer- und Frauenjobs gibt, wobei schlechter bezahlte Jobs mit weniger Renommé oft eher von Frauen ausgeübt werden.

Stieve: Ja stimmt, oder es ist umgekehrt so, dass typische Frauenarbeit nicht mehr so gut bezahlt wird. Zu den Gagen und Honoraren für die einzelnen Gewerke kann ich gar nichts sagen, aber das wäre natürlich auch mal interessant. Aber zurück zu einem typischen Frauenfilmjob, Kostüm. Die Kostümbildnerin Ingrid Zoré beklagt, dass sich so wenige Männer für Kostümbild interessieren. Im Verband gibt es gerade mal 10 % Männer. Woran liegt so etwas? Mögen Männer Kleidung nicht? Das kann nicht sein, angesichts der bekannten Modeschöpfer weltweit. Ist der Berufsweg für Männer zu unattraktiv? Also von Garderobiere hocharbeiten ...
Umgekehrt bei den Männergewerken, also zum Beispiel Kamera, sind Frauen zu schwach und zu klein für die Technik? Ich glaube nicht. Denken wir nur an Daniela Knapp, die „Poll“ filmte.

Also...

Stieve: Also müssen wir mal gucken, wie das z.B. mit der Ausbildung aussieht. Wie viele Frauen und Männer bewerben sich an den Filmhochschulen? Wie viele studieren, wie viele schließen ab? Und wie viele finden Arbeit, sind 5 Jahre später noch im Beruf? Vielleicht auch mal die Regisseur/innen und Produzent/innen fragen. Warum wurde 2012 jeder 5. Tatort von einer Frau gefilmt aber keiner der Top 20 an den Kinokassen?

Sie haben viele Fragen. Auch ein paar Antworten?

Stieve: Hm. Ich habe zum einen verschiedene Filmgruppen untersucht, also in Bezug auf Cast und Crew, auch z.B. die Wettbewerbe von einigen internationalen Festivals...

Glaube keiner Statistik, die Du nicht selbst gefälscht hast...

Stieve: Genau! (lacht) Ach, es geht ja erst mal nur um das Bereitstellen von Zahlenmaterial, über das wir dann sprechen können, unter verschiedenen Aspekten. Als Schauspielerin interessiert mich natürlich auch die Frage, wie es zu diesen ungleichen Besetzungslisten kommt. Gesellschaftliche Konvention? Das Männerübergewicht gab und gibt es ja auch in Theaterstücken. Oder liegt der Schlüssel bei den Redaktionen, die haben wie es immer wieder heißt sehr großen Einfluss, auf die Stoffe, auf die Drehbücher, auf die Besetzungen. Aber in den Redakteuren sitzen auch viele Frauen. Wollen die auch lieber nur Männergeschichten?

Das wäre also die nächste Frage.

Stieve: Ja stimmt. Es hört nie auf. Aber Hauptsache, wir fangen überhaupt erst mal an, darüber zu sprechen. „So war es immer und so ist es eben“ reicht jedenfalls nicht als Antwort.

Vielen Dank für das Gespräch.

Die angesprochenen Untersuchungen und mehr finden sich im Blog SchspIN von Belinde Ruth Stieve: schspin.wordpress.com


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