Kritik an Vergabe des Deutschen Filmpreises: namhafte Filmkritiker fordern eine Neuausrichtung des Deutschen Filmpreises.

(ver.di FilmUnion-Newsletter 10/2012) Die Filmkritiker Fritz Göttler, Tobias Kniebe (beide Süddeutsche Zeitung), Knut Elstermann (radioeins), Katja Nicodemus (DIE ZEIT), Christiane Peitz (Der Tagesspiegel), Andreas Kilb (FAZ) u.a.m. kritisierten in einem offenen Brief die Vergabepraxis des Deutschen Filmpreises. In dem Brief heißt es, die Ehrung fördere ein gefälliges „Konsenskino", wo Außenseiter-Filme wie Werner Schroeters „Malina" oder Romuald Karmakars „Der Totmacher" heute angesichts der Vergaberegeln wohl kaum eine Chance auf eine „Lola" hätten. Der Brief wurde von rund 20 Autoren unterzeichnet und in Zeitungen, Zeitschriften und Hörfunksendern am 18. Oktober 2012 veröffentlicht.
Als „Wurzel aller Unzufriedenheit" vermuten die Autoren die Vermischung von Förderpolitik mit der Bewertung künstlerischer Leistungen. Beim Deutschen Filmpreis vergebe die Branche fast drei Millionen Euro aus dem Etat von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU). Die Preisgelder sind für künftige Projekte der Gewinner vorgesehen. Es sei fraglich, ob die Auswahl- und Abstimmungsregeln für den Preis dazu geeignet seien, die Vielfalt des deutschen Films abzubilden. „Kann die Mehrheitsabstimmung der 1300 Mitglieder das garantieren? Müssen nicht auch preiswürdige, aber nicht unbedingt mehrheitsfähige Ausnahmefilme eine Chance bekommen, solange der Preis als kulturelle Subvention definiert ist?", heißt es weiter in dem Brief.

Die bisherigen Entscheidungen zeigten eine Tendenz zum kleinsten gemeinsamen Nenner, der Extreme ebenso wie Kassenerfolge von vornherein ausschließe. Fraglich sei, ob mit „John Rabe" (Goldene Lola 2009) und „Vincent will Meer" (Goldene Lola 2011) tatsächlich die herausragenden Filme ihres Jahrgangs prämiert werden konnten. Ein international ausgezeichneter Film wie Ulrich Köhlers „Schlafkrankheit" (Silberner Bär der Berlinale 2011 für Beste Regie) habe es nicht einmal unter die sechs nominierten Filme geschafft.

Alexander Thies, Vorsitzender des Gesamtvorstands der Allianz Deutscher Produzenten – Film & Fernsehen, wies die Kritik zurück. Thies sagte: „Die Vergabe des Deutschen Filmpreises durch die Mitglieder der Deutschen Filmakademie hat sich bewährt. Natürlich gibt es in jedem Jahr nach der Preisverleihung Diskussionen, ob die Entscheidungen richtig und angemessen sind oder nicht, aber so ist es bei allen Filmpreisen auf der ganzen Welt – und so war es auch, als die Filmpreis-Gewinner noch durch eine Kommission bestimmt wurden. Das heutige Verfahren ist transparent und demokratisch, die Mitglieder der Deutschen Filmakademie versammeln den Sachverstand der ganzen Branche in allen Gewerken und über alle Genregrenzen hinweg. Wir vertrauen den Entscheidungen dieses Gremiums, erst recht, weil mit dem Deutschen Filmpreis auch die BKM-Filmförderung entschieden wird. Das gilt insbesondere auch, soweit mit dem Deutschen Filmpreis die Gewährung der dotierten BKM-Filmpreise verbunden ist. Hier haben die Mitglieder der Deutschen Filmakademie durch eine Vergabe des Filmpreises auch an Preisträger, die nicht Mitglieder der Deutschen Filmakademie sind, immer wieder ihre Unabhängigkeit bewiesen.“
Uli Aselmann, Vorsitzender der Produzentenallianz-Sektion Kino, ergänzt: „Man weiß gar nicht genau, was die Filmkritikerinnen und Filmkritiker eigentlich wollen. Einerseits kritisieren sie, dass die Entscheidungen der letzten Jahre eine ‚unübersehbare Tendenz zum kleinsten gemeinsamen Nenner‘ zeigen, aber andererseits zeichnen sie mit ihrem eigenen Filmpreis (‚Preis der deutschen Filmkritik‘) oft dieselben Filme aus, wie zum Beispiel in diesem Jahr ‚Halt auf freier Strecke‘, der sich überdies kaum als Beispiel für einen wie auch immer gemeinten kleinsten gemeinsamen Nenner eignet.“

Die Filmakademie stellt sich nach Auffassung der Produzentenallianz zudem durchaus dem Dialog mit ihren Kritikern. So veranstaltete sie Mitte Oktober unter Beteiligung der Produzentenallianz ein öffentliches Gespräch mit Filmkritikern unter dem Titel „Wir müssen reden“. Dass gerade zu diesem Zeitpunkt der Filmakademie vorgeworfen wird, geäußerte Kritik zu ignorieren, ist schwer nachvollziehbar.
Der offene Brief der Kritiker enthält keinen Lösungsvorschlag für eine neue Vergaberegelung. Er endet mit dem Appell an die Akademie, „ihre grundsätzliche Aufstellung, zumindest aber ihr Auswahl- und Abstimmungsverfahren noch einmal gründlich zu überprüfen“. Die Filmakademie erklärte, sie wolle die Kritiker zu einem Gespräch einladen. Die nächsten „Lolas" werden am 26. April 2013 verliehen.

Christoph Brandl


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