Die Zukunft der Medien – Konferenz für europäische Mediengewerkschaften zeigt die bevorstehenden Veränderungen auf und entwirft Visionen für die Gewerkschaftsarbeit

(ver.di FilmUnion-Newsletter 05/2012) „Redaktionsbüros für Zeitungen und TV-Anstalten wird es nicht mehr geben. Jeder Fernsehschaffende wird seine eigene Firma sein, denn Arbeitsverträge sind da schon lange abgeschafft. Filmproduktionen organisieren sich global, ob es Kinos noch gibt, ist eher unwahrscheinlich.“ Wer so redet ist kein weltfremder Science-Fiction-Fan, sondern ein ausgewiesener Experte in Sachen digitale Medien: Bruno Patino.
Patino ist Leiter der France Television Digital, zuvor war er Direktor des Radiosenders France Culture und der Pariser School of Journalism an der Sciences-Po, einer der weltweit angesehensten Hochschulen im Bereich Sozialwissenschaften. Der Anlass für Patinos Rede war eine Konferenz für europäische Mediengewerkschaften und Journalistenverbände, die Mitte Mai in Brüssel stattfand. Und bereits der Titel der Konferenz ließ einiges erwarten: „Mapping the Change in the Media and Journalism – den Wandel der Medien abbilden“. Patinos grauenvolle Zukunftsvision bietet aber auch eine Chance, besonders für die Gewerkschaften – insofern sie die Zeichen der Zeit erkennen.

Der Veranstaltungsort war gut gewählt: ein feudales Hotel im Herzen Brüssels aus dem vorletzten Jahrhundert, nahe der Grande Place, mit einer großen, barocken Eingangshalle und einem Personal, das seine Dienste noch in königlicher Uniform ausübte. Das hatte Charme. Dennoch war dieser Ort zugleich auch eine Metapher für etwas, was man von den Gewerkschaften hoffentlich nie sagen wird: aus der Mode gekommen. Eine Warnung also, gerichtet an die geladenen Vertreter der europäischen Journalistenverbände und Mitglieder der EURO-Mei, der europäischen Dachgewerkschaft für die Bereiche Medien und Kunst, deren Überbringer eben jener Bruno Patino war, der die Keynote sprach. Seine einführenden Worte waren für die Teilnehmer der zweitägigen Veranstaltung schockierend, dennoch gut gewählt, um keinen in der falschen Hoffnung zu wiegen, es werde schon irgendwie gut gehen mit der digitalen Welt und den Gewerkschaften. Denn wenn Patino Recht behält, werden die meisten Medienschaffenden ihre Jobs verlieren. Gewerkschaften werden dann genauso überflüssig sein, wie Künstler und Publizisten, denn mit urheberrechtsgeschützten Werken werden nur noch die Verwerter verdienen. Wer von den wenigen Journalisten und Medienschaffenden noch Geld verdient, wird dies nur tun, weil er 1000 Twitterern folgt, Facebook, Xing, Linked In und Google + aus dem EffEff bedienen kann und sowieso eine hohe Netzwerkkompetenz hat. „Follower“ von 1000 Twitterern, das hat Patino wörtlich gesagt. Denn so werde sich in der Zukunft eine Nachricht ihren Weg zum Konsumenten bahnen: über Twitter, in Verbindung mit einem Smartphone und dessen Kamera. Alles, was konventionelle Print- oder TV-Medien angeht, sei vorsintflutlich und daher nicht mehr zeitgemäß.

Die internationalen Teilnehmer der Brüsseler Konferenz hatten an Patinos Aussagen zunächst einmal schwer zu knabbern, vor allem diejenigen, die historisch gesehen noch keine Zeit hatten, sich auf die Freiheit der Medien und die Konkurrenz der (Fernseh-)Märkte einzustellen: die Vertreter aus Süd- und Osteuropa, Polen, Litauer, Slowenen, Kroaten. Lediglich Mark Rivers, der Kollege der britischen Rundfunk- und Fernsehgewerkschaft bectu nahm Patinos Ansicht gelassen, so als habe er schon immer gewusst, dass die Medienwelt, in der er als Radiomann arbeitet, dem Untergang geweiht sei: „Es ist eine bekannte Tatsache, dass es den Zeitungsmarkt in absehbarer Zeit nicht mehr geben wird. Aber dafür wird es Neues geben, das bahnt sich ja jetzt bereits in Form von Internet, iPads und Apps deutlich an.“

Die Annahme, dass das Internet die Zeitung abschafft ist so alt, wie das Internet selbst, also ca. 20 Jahre. Zwar geben die wenigsten großen Tageszeitungen bisher Anzeichen dafür, dass sie vom Aussterben bedroht sind. Doch die Aussage, dass das Internet und seine digitalen Nutzungsmöglichkeiten Neues schaffen und bereits geschafft haben, ist richtig. Der Wandel ist überall ersichtlich, on- und offline. Und dass die Cloud, in der schon länger Programme und Dokumente gespeichert werden in absehbarer Zeit sich auch auf den Arbeitsmarkt niederschlagen wird, ist ebenfalls bekannt. So ist IBM schon jetzt dabei, eine weltweite Online-Jobbörse zu kreieren, um anstehende (IT-)Projekte nicht mehr in einem seiner Büros im Bundesstaat New York erledigen zu lassen, sondern irgendwo auf der Welt, wo eben der geeignete Kandidat sitzt, der sich auf die Jobanzeige beworben, und der dank seines günstigen Angebots den Auftrag bekommen hat. Sei das in Indien, Sri Lanka, Helsinki oder Kapstadt. Arbeitsort und –bedingungen werden keine Relevanz mehr besitzen. So grausam kann sie werden, die Zukunft der Arbeitswelt.

Doch Gefahr erkannt heißt auch hier: Gefahr gebannt. Und noch sind wir wohl mehr als die von Patino prognostizierten fünf bis zehn Jahre davon entfernt, in denen solche Szenarien flächendeckend Wirklichkeit werden. Eine der wichtigsten Voraussetzungen, dies zu verhindern, und das wurde allen Konferenzteilnehmern klar, ist die Einbindung der Jugend und jungen Arbeitnehmer in die gewerkschaftliche Gedanken- und Arbeitswelt. Das sei ein Garant fürs Überleben der Gewerkschaften und der Arbeitsbedingungen, wie sie heute bekannt sind, und für die Gewerkschaften mehr als 100 Jahre gekämpft haben. Doch was so banal klingt, die Jugend einbinden, ist schwierig umzusetzen. Eine Hoffnung boten die Jüngeren unter den Anwesenden selbst: Sie beschrieben ihre Arbeitsrealität als eine, die weder für langfristige Sicherheit, noch für ein sozialverträgliches Klima sorge. Es sei daher unbedingt notwendig, dass Institutionen wie Gewerkschaften wieder die Führung übernehmen, besonders auch wenn es um Kampfmaßnahmen für Medienbeschäftigte gehe. Junge Arbeitnehmer seien eine riesige Gruppe, die man nicht vernachlässigen dürfe, wenn man Arbeitskampfmassnahmen plane. Als willkommene Anregung für die eigenen Möglichkeiten wurde von den Anwesenden aufgenommen, wie die ver.di-Filmunion die Aufmerksamkeit innerhalb der Filmschaffenden in Deutschland auf sich gelenkt hat, nämlich mit Setbesuchen, selbst produzierten Social Spots, der Aufwertung des ver.di-Fernsehpreises etc. Auch die angedachten Streikmassnahmen, sowie die Aktionen, die zusammen mit anderen berufständischen Vereinigungen in Deutschland geplant sind, waren für viele Anwesende Grund genug, Hoffnung zu schöpfen, dass eben noch nicht alles verloren ist.
Darüberhinaus waren sich alle Beteiligten einig, dass man junge, potentielle Neumitglieder zunächst einmal den Mehrwert einer Gewerkschaft klar machen, und dass man sie dort treffen müsse, wo sie sich gerade befinden, nämlich in einer mobilen, flexiblen, oft virtuellen Welt; dass man also viel stärker das Internet und die neuen Medien miteinbeziehen, und vor allem, dass man stärker auf die Jungen selbst hören, ihre Bedürfnisse und Sorgen ernster nehmen müsse, als bisher und sich anschließend darum kümmert, dass sie sich in einer Gewerkschaft wie ver.di - trotz oder gerade wegen der virtuellen Herausforderung um sie herum - bestens aufgehoben fühlen. Die Anforderungen der nahen Zukunft lassen sich also nur gemeinsam, mit Jung UND Alt angehen, und nur, wenn beide Schritte aufeinander zumachen.


Doch wenn das gelingt, das Aufeinander-Zugehen, seien Veränderungen möglich, sogar im scheinbar so festgefahrenen Politikbetrieb, wie das Beispiel der überaus erfolgreichen Piratenpartei in Deutschland zeigt. Doch im Gegensatz zu den Piraten bieten die Gewerkschaften Inhalte, nun müssen diese allerdings jugendgerecht aufbereitet werden, um innerhalb der jungen Medienschaffenden cool und attraktiv „rüber zu kommen“. Auch eine andere Forderung, die die Gewerkschaften unbedingt erfüllen müssten, fiel in diesem Zusammenhang: Sexy werden!

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