Film & Fernsehen

Degeto – bei der Traumfabrik gehen die Lichter aus

(BFV-Newsletter 09/2011) Jeder Filmschaffende, ob Schauspieler, Autor, Regisseur oder Kameramann, kennt das Dilemma: Keiner würde von sich behaupten, er wäre stolz, an einem Degeto-Projekt mitzuarbeiten. Doch wenn die Degeto Film GmbH, die Filmeinkaufsorganisation der ARD ruft, kann sich kaum einer dieser Filmschaffenden widersetzen.
Denn die Degeto ist ein Riesenapparat, allein 2009 wandte sie für Lizenzeinkäufe, Auftrags- und Gemeinschaftsproduktionen, Kofinanzierungen, Materialbeschaffung und Synchronisation 426 Mio. Euro auf. Die Degeto beschäftigt um die 70 Mitarbeiter und zählt zu den wichtigsten Auftraggebern der deutschsprachigen Filmproduktionswirtschaft. Wer einmal bei ihr untergeschlüpft ist, gehört zur Degeto-Familie und findet in der Degeto einen dauerhaften, verlässlichen Arbeitgeber. Nun scheint sie sich übernommen zu haben, aktuell kann nichts mehr beauftragt werden. Angeblich sind sämtliche Projekte zunächst gestoppt worden, Produzenten, die mit Degeto-Redakteuren über eine Stoffentwicklung sprechen, berichten, dass ihnen mitgeteilt werde: Leider sei kein Geld vorhanden, um den Film vor 2014 umzusetzen. Ein Drama mitten aus der Realität bahnt sich an.

Was die wenigsten wissen, die Degeto ist als Koproduzent auch beteiligt gewesen an bei Publikum und Kritikern gleichermaßen erfolgreichen und äußerst unterschiedlichen Produktionen wie u.a.: „Berlin, Berlin“, „Die Wüstenblume“, „Der Untergang“, „Kirschblüten – Hanami“, „Mankells Wallander“, sowie bei einigen Tatort- und Polzeiruf-110-Folgen.

Doch bei Filmschaffenden, die noch nicht für die Degeto gearbeitet haben, haben Filme, an denen die Degeto federführend beteiligt ist, einen schlechten Ruf. Denn sie bedienen nur vermeintlich den Geschmack und das Unterhaltungsbedürfnis eines familienorientierten Publikums, sind selten provokant und bieten noch seltener Anlass für politische oder gesellschaftliche Kontroversen. In der Branche spricht man daher von Einheitsbrei, von der Degetoisierung des Programmes, der Degeto-Schmonzette und –Dramulette, die allesamt die immergleichen degetoiden Farben besäßen.

Negative Schlagzeilen macht die Degeto regelmäßig mit dem Thema Pensionskasse für Filmschaffende. Denn satzungsgemäß fallen Pensionskassenbeiträge für Filmschaffende bei Auftragsproduktionen öffentlich-rechtlicher Sender an, sofern Filmschaffende die Meldung ihrer Mitgliedschaft in der Pensionskasse dem Filmhersteller (ausführende Produktion) bekannt gibt. „Das System funktioniert in der Regel problemlos, genau nach dem Verfahren, wie es im Tarifvertrag für Film- und Fernsehschaffende (FFS) zwischen BFV/ver.di und der Produzentenallianz vereinbart ist. Probleme gibt es immer nur mit der Degeto; sie will in der Funktion als Auftraggeberin an ausführende Produktionen oder Co-Produzentin öffentlich-rechtlicher Sender die Beiträge zur Pensionskasse für Filmschaffende schlicht und ergreifend nicht zahlen. Wir müssen die Kolleginnen und Kollegen immer wieder bestärken, die Beiträge einzufordern, was regelmäßig mit Konflikten bei der ausführenden Produktion verbunden ist. Dieses Thema wird am Rande der anstehenden Tarifverhandlungen sicher aufgegriffen, damit auch der Sammelauftraggeber Degeto sich nicht mehr rausreden kann“, fasst der Vorstand des BundesFilmVerbandes BFV in ver.di die Situation zum Thema Pensionskasse zusammen.

Die Meldung vom Auftragsstopp bei der Degeto Ende September erreichte die Branche völlig unvorbereitet. Mittlerweile gibt es die Forderung von ARD-Oberen, Degeto-Geschäftsführer Hans-Wolfgang Jurgan extern zu überprüfen, um herauszufinden, wie es zur Schieflage der Degeto kommen konnte. Dies rief auch die Produzentenallianz auf den Plan. 'Unter dem Gesichtspunkt Transparenz' schreibt sie an ARD-Programmdirektor Volker Herres, wolle man gerne wissen, wie genau es zur Überproduktion kam und wie rechtlich verbindlich Jurgans Auftragsvergabe sei.

Nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (SZ vom 20.09.2011, „Wenn die Sonne doch mal untergeht“) habe Jurgan für die Jahre 2010 bis vermutlich 2012 offenbar erheblich mehr Programm bestellt beziehungsweise als Lizenz erworben, als das einem internen Mittelwert entsprach. Hat er sich dabei über Vorgaben hinweggesetzt, die ihm durch die ARD, durch den Aufsichtsrat der Degeto, gesetzt waren, fragt die SZ?

In dem Bericht heißt es weiter: „ARD-intern wird behauptet, geringer Überhang sei erwünscht, weil Sendungen regelmäßig verschoben und die Programmflächen dann spontan alternativ bestückt werden müssen. Doch Jurgan, so ein hochrangiger ARD-Manager, habe "die Halde verhökert". Ein finanzieller Schaden sei der ARD jedoch nicht entstanden, eher ein künstlerischer, ein strategischer. Die Intendanten seien verärgert.“
Seit Mai ist Bettina Reitz, bis dahin Fernsehspielchefin des BR und davor freie Produzentin, für die Inhalte der Degeto-Produktionen verantwortlich. Reitz ersetzt den mittlerweile verstorbenen Jörn Klamroth. Für die Gesellschafter ist sie eine Art Vorsitzende der Degeto-Geschäftsführung. Sie wurde engagiert, so die SZ, „um die Kitschfabrik neu zu justieren. Vereinfacht ausgedrückt soll sie Kitsch auf Niveau liefern. Die Herzschmerzopern Jurgans sind inzwischen nicht mehr so erfolgreich wie früher.“
Mittlerweile scheint jedoch klar zu sein, dass Reitz kurz- und mittelfristig kaum etwas verändern kann. Ihr Co-Geschäftsführer soll die Mittel der Degeto über Jahre weitgehend gebunden haben und derzeit ein Inventar aller noch von ihm und Klamroth erteilten Aufträge erstellen. Die Intendanten wollen offenbar wissen, was für Zahlungsverpflichtungen im juristischen Sinne bestehen, ob es Vereinbarungen gibt, die zurückgestellt werden können, welche Absichtserklärungen getroffen, welche Verträge geschlossen wurden.
Man könnte auch sagen: Endlich scheint jemand einen realistischen Umgang mit der Traumfabrik zu pflegen, die offenbar viel zu lange vor sich hinwurschteln durfte – solange nämlich, wie die Quoten stimmten. Schade für all die Filmschaffenden, die fest mit einem Degeto-Projekt geplant hatten. Denn nun hat sich das Blatt gegen sie gewendet, ein Happy End ist nicht in Sicht, Fortsetzung folgt.


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