Alptraumfabrik Deutschland - Traumfabrik Italien mit mehr Beschäftigung

(BFV-Newsletter 02/2011) Von Italien lernen, heißt Beschäftigung schaffen! Diesem Eindruck konnte sich bei der Diskussion „Alptraum Traumfabrik - Wege aus der Selbstausbeutung bei Film und Fernsehen“ des Bundesfilmverbands in ver.di (BFV) auf der Berlinale einstellen.
Kleine Umstellungen mit eventueller großer Wirkung in der Produktionsorganisation sind jedoch nur die eine Seite der Medaille, um Tarife einzuhalten. Auf der anderen steht das Geld, das offensichtlich nur die Sender haben. Und die behaupten ja ständig, es geht ihnen aus, weshalb sie auf Gagen und Gehälter drücken. Doch bevor ARD und ZDF als auch die privaten Sender ordentlich zahlen, müssen wohl die Produzenten endlich ehrlich kalkulieren, was ein Dreh kostet. 43 Stunden die Woche, neun Stunden am Tag, und jede der zwei zugelassenen Überstunden pro Woche muss schon am Morgen des jeweiligen Drehtags angekündigt werden. Wenn ein Mitarbeiter sich dagegen ausspricht, kann sie nicht durchgeführt werden. Am Freitag werden dann gar nur sieben Stunden gearbeitet. Um 15.00 Uhr fällt der Hammer – der in Deutschland für diesen Tag oft angesetzte Nachtdreh, der die Erholungszeit des Wochenendes einschränkt, ist nicht möglich. Um das Pensum in der gleichen Anzahl von Tagen trotzdem zu schaffen, haben die Crews im Schnitt acht bis zehn Mitarbeiter mehr, was die Gewerkschaft in Italien genau kontrolliere. Sie hat auch ein Auge auf die tarifgerechte Bezahlung. „Von diesem Zustand sind wir noch weit entfernt, weil wir noch nicht genug dafür getan haben, denn wir Film- und Fernsehschaffenden organisieren uns immer noch zu wenig; dass müssen wir ändern, da müssen wir von unseren Nachbarkollegen lernen, dann werden wir auch hier bessere Bedingungen durchsetzen“, beschreibt Olla Höf, Vorstand BFV, die Situation. Dem international tätige Regisseur Marco Serafini fällt zur Arbeit in Italien folgendes ein:
„Diese Arbeitsweise stresst mich als Regisseur in Italien schon, weil sie von mir acht Stunden volle Konzentration verlangt, andererseits aber ist man dann mit dem Tag auch durch. In Deutschland ist es eben viel gemütlicher“. Als Serafini jedoch bei der Bavaria vor kurzem zwei zusätzliche Kameraassistenten forderte, scheiterte dies an 23.000 Euro Kosten. „Es hätte aber viel Zeit gespart, wenn sie als Second Unit gearbeitet hätten“. Dieses Paradies hat die italienische Regierung ihren Filmschaffenden geschenkt. Es gilt für den Dreh aller Filme, die mit öffentlichen Geldern entstehen. Ausnahmeregelungen lassen die Gewerkschaften nur bei Debüt- und Low-Budget-Filmen zu. Dann könnten die Mitarbeiter vor und hinter der Kamera zum Beispiel auf Rückstellungen arbeiten. Sie sind ja auch in Deutschland ein erprobtes Mittel, um ambitionierte, ungewöhnliche Ideen schnell und unabhängig zu realisieren. Dass das Geld nicht abgeschrieben werden muss, sondern später durchaus auch fließt, bestätigten Schauspieler Antoine Monor jr. und Produzent Karsten Aurich. In Deutschland sei solch gesetzliche Regelung unmöglich, denn es gelte die Tarifautonomie, wandte Alexander Thies für die Produzentenallianz ein. Es gehört aber zu den Geburtsfehlern der Allianz, dass sie ihren Mitgliedern frei stellt, sich an die Tarifverträge gebunden zu fühlen. Doch ob mit oder ohne Tarifbindung – allzu oft wird versucht, Tarife zu unterlaufen, konstatiert Olla Hoef vom BFV. Im Gegensatz zur Schweiz, wo die ihr angebotenen Verträge stets alle Vorgaben berücksichtigen, versuchten deutsche Produzenten in ihren Vertragsangeboten oft Gagen zu drücken und Standards des Manteltarifvertrags auszuhebeln. Dazu sind sie oft auch gezwungen. Die Budgets von Debütfilmen, die auch von den öffentlich-rechtlichen Sendern unterstützt werden, gehen mittlerweile unter die Schwelle von 500.000 Euro runter. Das spüren auch die Beschäftigten. Das Lohndumping treffe jedoch auch renommierte, hundertprozentige Auftragsfernsehproduktionen wie den „Tatort“ oder „Stubbe“, war aus dem Publikum zu hören. „Die Tarifverträge werden unterlaufen, weil der Kalkulationsrealismus nicht vorhanden ist“, benannte Marco Serafini einen der Gründe für das Lohndumping. Dass diese oft fehlt, ist seit Jahren ein offenes Geheimnis in der Branche. Doch nur wenn die Produzenten den Sendern ehrlich sagen, was ihr Produkt wirklich kostet und wert ist und sich nicht durch Unterlaufen von Tarifverträgen gegenseitig unterbieten, kann wohl der Druck aufgebaut werden, dass die Sender mehr Geld für ihre Aufträge locker machen und die Produktionsbedingungen sich auch in der Kalkulation widerspiegeln.


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