Das Schweigen des Neumann – Hollywoodverleiher müssen eingeschränkt werden!

(BFV-Newsletter 9/2010) Einer für alle und alle für einen – nach dem Motto für Dumas Musketiere wollte die Deutsche Filmindustrie im Schulterschluss mit der Politik die Herausforderung der Kinodigitalisierung angehen.
Heute muss die bittere Bilanz wohl ganz im Sinne von Hollywoods Version des Klassikers umgewandelt werden. Einer für alle und alles für mich. Hollywoods Filmstudios und ihre Verleiher sowie die Multiplexe könnten über die technische Revolution durch die Digitalisierung ihre Vormachtstellung auf dem deutschen Markt festigen, unabhängige Verleiher vom Markt verdrängen und die Distributionsmöglichkeiten deutscher Filme gravierend beschneiden. Das zarte Pflänzchen des deutschen Kinowunders der vergangenen Jahre könnte verblühen, Milliarden Fördergelder von Bund und Ländern für die Produktion wären in den Sand gesetzt. Dieses Horrorszenario droht, wenn nach einem mehrjährigen Diskussionsprozess das Modell zur flächendeckenden Kinodigitalisierung mit finanzieller Unterstützung von Bund und Ländern ad acta gelegt wird.
Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbandes deutscher Filmverleiher (VdF), wiederholte bei der Medienwoche 2010, dass der Verband aus kartellrechtlichen Gründen nicht pauschal zusagen werde, sich mit 20 Mio. Euro an den Digitalisierungskosten der Arthouse-Kinos zu beteiligen. Jeder müsse selbst verhandeln, dabei würden nicht alle Kinos den gleichen Betrag erhalten und einige auch gar nichts. Womit er sich zu einer Aussage aufschwang, die wohl kaum im Sinne aller Verleiher sein dürfte. Sie passt allerdings in die Linie des Verbandes, der seinen Mitgliedern und den Kinos bereits im August zum Abschluss von Verträgen mit den so genannten Third-Party-Anbietern geraten hatte.
Ist das 2-Säulen-Modell zur flächendeckenden Digitalisierung aller Kinos, das Kulturstaatsminister Bernd Neumann im Mai vorlegte, nun wirklich tot? Es sieht vor, dass sich der Bund, die Länder, die FFA und die Verleiher mit je 20% an den Kosten der Digitalisierung der Leinwände beteiligen, die zwischen 40.000 und 260.000 Euro Umsatz im Jahr machen oder mindestens 8000 Zuschauer haben. Alle anderen Kinos sollten mit der alleinigen Unterstützung der Verleiher umgerüstet werden. Es lebt! Denn das Kartellamt ist gar nicht zuständig, Beihilfen zu prüfen, wie Stephanie Jungheim von der Behörde bei der Medienwoche Berlin-Brandenburg bestätigte. Nur der Weg muss wohl modifiziert werden. Dabei berichtigen Bund, Länder und die Filmwirtschaft einen Geburtsfehler der angestrebten Public-Private-Partnership. Zu deren Entwicklung gab die FFA 2008 PWC vor, auf die Virtual Print Fee zu setzen. Dahinter verbirgt sich, dass ein Verleiher den Kinos pro eingesparter 35mm-Kopie einen Betrag zahlt, damit dieser damit die Kosten für die Anschaffung des technischen Equipments schultern kann. Im von PWC entwickelten 100er Modell waren das über fünf Jahre monatlich 13.500 Euro je Kopie, die von der FFA ausgezahlt werden sollten. Jede Leinwand hätte dabei – unabhängig von der Größe des Saales – den gleichen Betrag erhalten. Dieses Geschäftsmodell war damals aber bereits auf dem Markt. Das Venture Capital-Unternehmen ars allians aus den USA und der Newcomer Ymagis aus Frankreich boten es schon 2007 an. Deren Geschäft kann sich aber am Markt nicht behaupten, wenn der Staat ein nichtprofitorientiertes Kartell bilden will, an dem alle Verleiher und Kinos teilnehmen sollen. Zwar auf freiwilliger Basis, aber wer zahlt schon gerne mehr als er muss oder profitiert geringer als er kann.
Folgerichtig hat das Deutsche Kartellamt im Sommer 2010 signalisiert, dass es diesen Modus Vivendi ablehnen wird. Ebenso hatten die Wettbewerbshüter im Februar in Frankreich entschieden. Nun gibt es mehrere Wege zur Lösung. Ein verändertes Leihmietenmodell, wie es der HDF ins Spiel bringt. Sarkozy entschied sich für ein Gesetz, nach dem die Verleiher pauschal verpflichtet werden, 40% der Digitalisierungskosten der französischen Kinos zu übernehmen. Dagegen hätte das deutsche Kartellamt nach Aussagen von Stephanie Jungheim nicht einschreiten können. Neumann verzichtete auf ein Gesetz – trotz mehrmaliger Nachfrage wollte sich das BKM nicht zu den Gründen äußern.
Im BKM wird nun fieberhaft an einem alternativen Modus Vivendi gestrickt, um die flächendeckende Digitalisierung zu retten. Ende September muss im Haushaltsausschuss auf dem Tisch liegen – sonst könnten die für dieses Jahr eingestellten 4 Mio. aus dem Bundeshalt verloren gehen. Das Zögern könnte insgesamt die 20 Mio. Euro gefährden, die der Bund in den kommenden fünf Jahren für die Erhaltung der so genannten Kriterienkinos spendieren will. Doch noch sind nicht alle Bedingungen erfüllt, die Neumann für die staatliche Hilfe gestellt hat. Die Mitfinanzierung der Länder ist noch nicht flächendeckend gesichert. Berlin, Brandenburg Bayern, NRW, Hamburg, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz haben ihr Engagement zugesagt. In dieser Frage zeichnet sich ein Sieg des Pragmatismus ab. Zögerliche Länder mit wenigen Arthouse-Kinos wie Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt oder das Saarland werden nicht den gesamten Prozess stoppen können. Und auch die Kinos sind jetzt zufriedener mit dem 2-Säulen-Modell. Anfang September besserten das BKM und die FFA nach und erhöhten die Höchstumsatzgrenze für förderfähige Kinos von 180 auf 260.000 Euro. Damit kommen rund 300 Leinwände mehr in den Genuss ihrer Mittel. Dass die Länder hier nachziehen, ist zu bezweifeln. Dies zeichnet sich eher bei der Forderung der Kinos und der AG Verleih ab, auch alternative, preiswertere 2-K-Projektoren zu fördern. Die Hamburger unterstützen bereits alternative 2K-Hardware. Das ist ein Aufweichen der bisherigen Linie von Bund und Ländern, ausschließlich - wie vom Verleiherverband am 15. September bei der Filmkunstmesse erneut gefordert - auf die für die großen Hollywood-Studios entwickelte DCI-Norm zu setzen. FFA und BKM prüfen jetzt Alternativen. Eine Entscheidung wird erst fallen, wenn das Gutachten des Frauenhofer-Instituts zur DCI-Kompabilität alternativer Anbieter da ist. Nur die letzte Bedingung der Politik, die Zusage der Verleiher sich finanziell zu beteiligen, blieb bisher im Vagen. Knackpunkt ist, ob die Haushälter des Bundes nach den oben zitierten Aussagen Klingsporns das Geld freigeben. Im schlimmsten Fall geht es nur noch um Gesichtswahrung: Da es keine eindeutige Aussage der Verleiher gibt, könnte Neumann versucht sein, die Mittel der FFA, zu denen die Verleiher ja beitragen, als deren Beitrag auszugeben. Eine Mogelpackung, die überhaupt nicht garantiert, dass die Verleiher als Hauptnutznießer der Digitalisierung wie bislang versprochen die Hälfte der Kosten schultern werden.
Bei diesem Sachstand ist es kein Wunder, dass aus den Reihen des Verleiherverbandes das 2-Säulen-Modell seit einigen Wochen offen torpediert wird. Wer ein Interesse am Scheitern des Branchenmodells hat, liegt auf der Hand: Zunächst die Third-Party-Anbieter, denen riesige Profite verloren gehen. Von 72.000 auf 90.000 pro Leinwand steigen die Kosten für die Digitalisierung mit Third-Party-Firmen, schätzt der Verleiherverband selbst. Der HDF geht sogar von bis zu 30% aus. Das macht für den deutschen Markt 70 bis 100 Mio. Die Verleiher versprechen zwar großzügig, diesen Betrag zu schultern. Sie versuchen aber schon jetzt, ihn sich wiederzuholen, in dem sie den Produzenten schlechtere Konditionen anbieten.

Aber vor allem sehen die Hollywood-Studios und ihre Verleihfirmen die eigenen Felle davon schwimmen. Nicht nur, weil sie über die digitale Hardware die eigentlichen Herren in den Kinos werden. Wer zahlt, bestimmt was gespielt wird. Disney schwärmt bereits von Starts mit 2000 Kopien im ganzen Land, Mychael Berg von der Fox bestand in Leipzig nochmals nachdrücklich auf die DCI-Norm. Das Nachsehen hätte das Arthouse-Kino, der anspruchsvolle deutsche und internationale Film. Vor allem sind aber die Third-Party-Modelle so zugeschnitten, dass sie ohne Arthouse-Kinos nicht funktionieren und dabei eine Umverteilung von unten nach oben erfolgt, während die deutschen Branchenmodelle alle gleich belasten und entlasten wollten. „Die Vertragsgestaltung der Third Parties führe dazu, dass ein unabhängiger Verleih mit seinen Filmen „Iron Man II“ auf dem Lande finanziere“, bringt es Torsten Frehse vom Zusammenschluss unabhängiger Verleiher, der AG Verleih, auf den Punkt. Das habe Ymagis Klingsporn im Sommer auch klar gemacht.
Die Umverteilung erfolgt auf mehreren Ebenen. Sie beginnt mit den Einsparungen bei den Kosten für Kopien, die bei den Majors besonders hoch sind, weil sie ihre Blockbuster mit vielen Kopien zeitgleich starten. Bei „Iron Man II“ mit 600 Kopien sind das bei einer geschätzten Einsparung von 900,00 Euro insgesamt 540.000 Euro. Arthouse-Filme werden dagegen meist mit einem Plattformstart hintereinander in bis zu 30 Kinos gespielt. Bei 50 Kopien spart der Verleih nur 45.000 Euro. Damit der Film ins Kino kommt, muss der Verleih an sie zahlen. Die Majors können dabei günstigere Konditionen aushandeln als die unabhängigen Verleiher. So werden für „Iron Man II“ pro Kopie vielleicht nur 500 Euro pro Startkopie mit den Kinos verrechnet, für „Kleine Wunder in Athen“ aber 800,- Euro je Kopie. Der Betrag für „Iron Man II“ wird aber nur einmal fällig. Wenn 50 Kopien aber durch 200 und mehr Kinos laufen, muss jeweils neu bezahlt werden. Das wird sehr schnell teurer als die Einsparsumme von 45.000 Euro. Diese wirtschaftlichen Nachteile kann keiner wirtschaftlich durchhalten. Frehse befürchtet, dass die unabhängigen Verleiher aufgeben oder unter das Dach der Majors flüchten müssen.

Die Kinos müssen dagegen bestrebt sein, eine hohe Zahl von Premieren unmittelbar nach Bundesstart zu spielen, weil die Höhe der an sie abzuführenden Summe gestaffelt ist. In den ersten vier Wochen nach Bundesstart ist sie auf gleich bleibendem Niveau, dann geht sie runter. Was dazu führt, dass kleine Kinos sehr viel länger brauchen werden, den beim Third-Party-Anbieter aufgenommenen Kredit abzuzahlen. Und es könnte sogar noch ungünstiger für die Mitglieder der AG Kino und die mittelständischen Kinos des HDF laufen. Wenn der Third-Party-Anbieter mit den Multiplexen günstigere Konditionen aushandelt. Sie bekommen für die Premiere von „Iron Man II“ vielleicht 700 Euro, das Einzelhaus an der Ecke aber nur 600,- Euro, aber stets mehr, als der Verleiher zahlt. Für die „Kleinen Wunder“ werden aber nur 400,- weiter gereicht, wesentlich weniger als der Verleiher zahlt. Die Umverteilung ist perfekt. Das ist der Tod des Mittelstands, wie Thomas Negele vom HDF fürchtet. Und der Tod der unabhängigen Verleiher und der Vielfalt des Programms, des europäischen Films und des Arthouse-Kinos. Diese negativen Effekte zu vermeiden, war der Charme der Idee der Modifizierung des Virtual-Print Fee-Prinzips zur Public-Private Partership. Ein Ausgleich muss auch weiter Ziel der Politik sein, aber das wird natürlich schwer, wenn ein Teilnehmer eindeutig rät, auf das Umverteilungsmodell zu setzen. Es bleibt abzuwarten, wie Neumann den Gordischen Knoten durchschneiden wird. Doch es müssen jetzt schnell eindeutige Signale kommen. Die Indiskretionen aus dem Verleiher-Verband und die eindeutige Positionierung einer Fachzeitschrift haben zu Irritationen geführt und Ratlosigkeit hinterlassen. Viele Kinos unterschreiben jetzt bei den Third-Parties, konstatiert der HDF, auch weil sie als so genannte kommerzielle Kinos keinen Silberstreif am Horizont auf nur einen Cent staatlicher Fördermittel sahen. Diejenigen unter ihnen, die fleißig an die FFA zahlen, fragen sich, warum sind wir ausgeschlossen? Hinter den Kulissen wird hier um eine Lösung gerungen. Hoffentlich wird nun in Kürze endlich Klarheit herrschen.

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