Neumann-Modell stößt bei AG Kino auf Kritik – BFV/ver.di fordert Qualifizierung

(BFV-Newsletter 06/2010) Gerhard Groß weiß im Moment nicht, ob er Lachen oder Weinen soll. Er ist in Berlin für die Arthouse-Kino-Center in den Hackeschen Höfen und die Kant-Kinos verantwortlich.
Beide haben fünf Säle, von denen der Kleinste 22 Plätze hat, der größte 349 Besucher fasst. Alle sind profitabel und liegen über der Umsatzgrenze von 40.000 Euro, die Bund und Länder für ihre Förder- Programme zur Digitalisierung der Arthouse-Kinos gesetzt haben. Trotzdem kann sich Gerhard Groß wie seine Kollegen nicht uneingeschränkt über das von Bernd Neumann am 6. Mai und den Ländern einen Tag später präferierte Modell freuen. Es sieht vor, dass sich der Bund mit bis 25% und die Länder mit 20% an den Investitionen von 72.000 Euro je Leinwand in die neue Technologie beteiligen. Dazu kommen je 20% der von der Filmförderungsanstalt und den Verleihern "Wir müssen aber bis zu 20% der Investitionssumme aufbringen für eine Investition, die uns keinen zusätzlichen Zuschauer bringt. Da winkt jede Bank ab", beschreibt Gerhard Groß das Dilemma, das er mit Hunderten Kinobetreibern in Deutschland teilt. 144.000 Euro müsste er alleine für die Technik investieren. Rund 10.000 Euro je Saal kommen für Umbauten und den Einbau einer Klimaanlage hinzu. Macht 250000 Euro, die Gerhard Groß einfach nicht hat. "Kein Kino macht dauerhaft Verluste, doch keines wirft Gewinne ab, mit denen diese Investition aufzubringen wäre. Schon gar nicht die kleinen Säle." Eine Argumentation, die leicht nachzuvollziehen ist, denn vom Kinokarten-Umsatz geht die Hälfte an die Verleiher. Strom, Miete, Kosten für das Personal müssen dann noch abgezogen werden.

Das Dilemma müsste nicht sein, denkt Christian Bräuer, Co-Geschäftsführer der Yorck-Gruppe und Vorstand der AG Kino. "Das teure Equipment brauche ich, um eine technische Norm zu erfüllen, die die Hollywood-Studios gesetzt haben, um ihre Filme vor Raubkopierern zu schützen und den Weltmarkt noch besser mit ihren Filmen überschwemmen zu können. Das ist nicht nur kartellrechtlich bedenklich, sondern auch wirtschaftlich unsinnig. Für große Häuser wie bei uns das `International` oder das `Delphi` sind besonders hoch auflösende und entsprechend teuere Projektoren notwendig. Für kleine Säle gibt es hingegen für 10.000-15.000 EUR hervorragend geeignete Projektoren, die schon jetzt auf dem Markt sind und von den unabhängigen Verleihern auch akzeptiert und beliefert werden."

So wurden im Vorjahr "Das weiße Band" und "Inglorious Basterds" zwei Hits der Arthouse-Kinos von der Festplatte abgespielt. Doch die Politik setzt weiter auf die von Hollywood geforderten Standards, deren Preis vor allem durch die Lizenzgebühren hoch getrieben wird. "Seine Einführung ist eine Bedingung des Verleiherverbandes, um sich an den Investitionen zu beteiligen," betont Angelika Krüger-Leißner, filmpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, in einem Gespräch mit Gerhard Groß in den Hackeschen Höfen. Barbara Kisseler, im Berliner Senat für die Kultur zuständig, teilt die Haltung der Verleiher. Sie fürchtet, dass es sonst für Kinos, die nicht nach den hohen Normen ausgerüstet werden, ein Tod auf Raten werden könnte. Wenn die Norm gesetzt bleiben, müsse an Eckpunkten des Modells gefeilt werden, mahnt Gerhard Groß an. Nicht nur ihn stört die Umsatzobergrenze von 180.000 Euro je Saal, die BKM und Länder für die Förderung von Arthouse-Kinos gesetzt haben. Häuser wie "Delphi", "International" oder die großen Säle von Kant-Kino und Hackeschen Höfe liegen weit darüber. "Ohne deren wirtschaftliche Prosperität, können die kleinen Säle oder umsatzschwache Kinos der Yorck-Gruppe nicht gehalten werden," denkt Groß. "Gute Standorte stützen die Schwächeren, dafür kenne ich auch Beispiele aus Bremen oder Südwestdeutschland." Wer darüber liegt, fällt aus der staatlichen Förderung raus und wird wie ein kommerzielles Kino behandelt. Für sie wollen die Verleiher 80% der Technik-Kosten übernehmen, was jedoch noch unklar ist. Daher fordert Groß, dass bei unabhängigen Centern oder Kino-Gruppen eine Querverrechnung der Umsätze möglich sein müsse, damit kein umsatzstarker Saal aus der staatlichen Förderung raus falle.

Es bleibt trotzdem das Problem des fehlenden Eigenkapitals. "Bei den jetzt vorliegenden Modellen müssen wir den Betrag in einem Jahr zahlen. Eine Verteilung der Kosten über mehrere Jahre würde schon weiterhelfen," denkt Groß und erinnert damit an das 2008 von Price-Waterhouse & Cooper entwickelte so genannte 100er Modell. Dieses Branchensolidaritätsmodell, bei dem sich Filmwirtschaft, Bund und Länder die Digitalisierungskosten geteilt hätten, scheiterte an den von Cinestar und Cinemaxx angeführten Multiplexketten. Sie klagten gegen das Filmförderungsgesetz und begannen, ihre Säle auf eigene Kosten auf die digitale Projektion umzurüsten, um vom 3-D-Boom des Vorjahres zu profitieren. Das 100er Modell hätte für die Arthouse-Kinos den Vorteil gehabt, dass sie über mehrere Jahre hätten zahlen können und höchstens 10% der Investitionssumme hätten aufbringen müssen. Doch jetzt schwindet die Hoffnung der Branche und der Politik auf eine Entlastung des Eigenanteils der Arthouse-Kinobetreiber mit jedem Tag. Das einzige Signal kommt von den Verleiher, die versprochen hatten 154 Mio. Euro für die Digitalisierung der Kinos bereitzustellen. Sie wollen die Gelder, die sie nicht für die Unterstützung der Digitalisierung der kommerziellen Kinos benötigen, an die Arthouse-Kinos weiterzureichen. Das wird nicht viel sein. Entscheidender ist, ob Cinestar und die anderen Ketten ihre Klage gegen das Filmförderungsgesetz zurückziehen und ihre Filmabgabe an die Filmförderungsanstalt zahlen. 40 Mio. Euro werden sie am Ende des Jahres nur unter Vorbehalt gezahlt haben. Der Großteil könnte dann für die Digitalisierung der Arthouse-Kinos ausgegeben werden. Jedes Kinos bekäme rund 10.000 Euro für die Digitalisierung dazu. So fordert es auch der HDF als Vertreter der Multiplexe. Sie sollen nach seinem Willen ohne Verwendungsnachweis gezahlt werden. Das wurde in der FFA bislang abgelehnt. Der Einsatz der 40 Mio. führt dann zu dem Effekt, dass die Verleiher 10.000 Euros bei den rund 2500 kommerziellen Sälen sparen und diese an die 1200 Arthouse-Säle weiter reichen könnten, womit diese fast vollständig ihren Eigenanteil sparen können. Eine weitere Hürde ist die EU-Kommission, die von den Verleihern um ihre Meinung gebeten wurde. Die ersten Signale sind positiv. Sie wird streng darauf achten, dass die staatliche Förderung nicht höher als 50% ist und die 20% Eigenanteil von den Kinos gebracht werden. Daher müsste nur ein juristisch sicheres Modell entwickelt werden, damit der Verleiherzuschuss als Eigenkapital angerechnet werden kann. Ähnlich dem 100er Modell, bei dem die Verleiher in einen Topf einzahlen sollten, aus dem die Kinodigitalisierung bezahlt wird. "In meiner Phantasie sehe ich da viele Möglichkeiten," bestätigt Kirsten Niehuus, Geschäftsführerin der Medienbaord Berlin-Brandenburg. Das ist jedoch ein Traum, den im Moment keiner öffentlich aussprechen mag. Schon mit einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Klage wird nicht mehr in diesem Jahr gerechnet. So bleibt unter dem Strich, dass die Multiplexketten weiter auf Zeit spielen und eine Marktbereinigung über die Digitalisierung anstreben. Doch Groß denkt auch an die Zukunft. "Wir haben jetzt schon einen Investitionsstau, der muss abgebaut werden." Zudem mahnt er an, und da ist er sich ausnahmsweise mal auch mit den Multiplexbesitzern einig, dass die Digitalisierung ja kein einmaliger Kraftakt sei. Entgegen der 35mm-Projektoren, die in den Hackeschen Höfen schon 15 Jahre und im Kant-Kino sogar schon 50 Jahre laufen, wüsste keiner, ob digitale Server und Projektoren nicht schon in zehn Jahren ausgetauscht werden müssten. "Es besteht die Gefahr, dass wir keine Rücklagen bilden können, um dann Ersatz zu schaffen." Damit ist er sich mit Thomas Negele vom HDF ausnahmsweise mal einig. Auch er sieht auf die Kinos eine Kostenlawine zukommen, wenn alle zehn Jahre eine neue Technikgeneration zu diesen Preisen angeschafft wird. Die kommende Technologie-Revolution muss dann aber wohl eher der Zuschauer bezahlen. Insgesamt greift die Betrachtung auf Investitionen ausschließlich in neue Technik ohnehin zu kurz. So stellt der Vorstand vom BundFilmverband BFV in ver.di klar: "Dass von der Summe staatlicher Förderung, Förderung aus Abgaben und Branchen-Geldern, dann auch Mittel in den Erhalt von Arbeitsplätzen und Mittel zur Qualifizierung der durch die Digitalisierung von Arbeitslosigkeit bedrohten Arbeitnehmer fließen. Dazu ist jedenfalls vorzusehen, dass anders als bisher zu den förderfähigen Kosten neben den "Equipment-Kosten" auch Qualifizierungskosten und Weiterbeschäftigungskosten für bisher beschäftigte Filmvorführerinnen und Filmvorführer zu zählen sind"!

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